Kleine Unterschiede mit großem Einfluss

Interview über nachhaltige Mikromobilität und die Forschung an Mobilitätskonzepten

Lesedauer: 8 Minuten

DigitalisierungMobilität
Kleine Unterschiede mit großem Einfluss
Lastenfahrrad auf dem Campus der Hochschule Bochum mit Akkuwechselstation und Solarstation, ©Ronja Frühe

Thea

Statt mit dem Auto durch volle Innenstädte zu fahren, leihen sich immer mehr Menschen einen E-Scooter, um von A nach B zu kommen. Elektrisch angetrieben und platzsparend – das müsste doch eigentlich nachhaltiger sein als Autofahren oder nicht? Warum diese Frage gar nicht so leicht zu beantworten ist, weiß Oskar Bauer. Seit Sommer 2022 forscht er im Team des ruhrvalley Projekts Smart City Sustainable Mobility zum Thema Mikromobilität. Im Interview verrät er, welche Faktoren nachhaltige Mobilität beeinflussen und was es dabei mit dem „Milkrun“ auf sich hat.

Du forschst zum Thema Mikromobilität, also die Fortbewegung mit Hilfe elektrischer, motorisierter, Kleinst- und Leichtfahrzeuge. Wie bist du auf dieses Thema gekommen und was interessiert dich besonders daran?

Für mich persönlich hat das Thema begonnen als in Dortmund die ersten E-Sharing-Anbieter an den Markt gegangen sind und ich vor den Westfalenhallen eine riesige Flotte gesehen habe. Größtenteils interessieren mich tatsächlich die Bewegungsmuster dahinter, also wie die Menschen diese Güter bewegen und welche Anforderungen sie an diese Form der Mobilität haben.

Im ruhrvalley arbeitest du aktuell im Projekt Smart City Sustainable Mobility, kurz SCiSusMob. Worum geht es dabei?

In dem Projekt beschäftigen wir uns damit, wie wir geteilte urbane Mobilität nachhaltiger gestalten können und speziell, wie die Ladeinfrastruktur aussehen könnte, um den Worst-Case, den sogenannten Milkrun zu vermeiden. Milkrun bedeutet, dass ein Transporter losgeschickt wird, der die Fahrzeuge einsammelt, um diese zentral aufzuladen und danach wieder zu verteilen. Je nachdem, welches Fahrzeug verwendet wird – im Normalfall ein Diesel –, ist das nicht sehr nachhaltig. Wir forschen zu möglichen Alternativen wie dezentrales Laden oder Akkuwechselschränke. Dazu betreiben wir aktuell mit der Energieversorgung Oberhausen (EVO), einem Sharing-Anbieter, ein Reallabor, in dem wir neuartige Energieversorgungssysteme testen.

Was genau ist ein Reallabor?

Prinzipiell geht der reale Betrieb einfach weiter, allerdings werten wir im laufenden Betrieb Daten aus und führen zum Teil neue Konzepte ein wie Solarstationen oder Akkuschränke. An Akkuschränken, so wie wir sie aktuell an der Hochschule Bochum installiert haben, können die Nutzerinnen und Nutzern den leeren Akku gegen einen frisch geladenen austauschen. Direkt danach können sie weiterfahren, während der gebrauchte Akku wieder aufgeladen wird.

Wie untersucht ihr diese alternativen Energieversorgungskonzepte?

Zunächst haben wir einen Kriterienkatalog aufgestellt, anhand dessen wir Nachhaltigkeit bilanzieren. Ein Kriterium ist zum Beispiel Akzeptanz. Man kann eine perfekte Lösung haben. Solange die Nutzerinnen und Nutzer sie allerdings nicht anwenden, weil sie zu umständlich ist, wird sie im Endeffekt niemals perfekt sein. Ein weiteres wichtiges Kriterium sind natürlich die verwendeten Materialien. Je nachdem welche Rohstoffe zum Einsatz kommen, macht das einen riesigen Unterschied. Darüber hinaus nutzen wir verschiedene Techniken wie beispielsweise Lifecycle Assessment Analysis, um die einzelnen Komponenten innerhalb dieses Anbieter-Kosmos zu bilanzieren.

Was wird bei einer Lifecycle Assessment Analysis eingerechnet?

Zum einen sind das die Komponenten, die bei der Herstellung genutzt werden, aber natürlich gehört auch der Strommix, der zur Herstellung verwendet wird, dazu. Im Kontext von Light Electric Vehicle Sharing kommen außerdem operationelle Teile hinzu, wie eben der Milkrun. Die Fahrzeuge müssen beispielsweise aus ruhigen Zonen wieder in belebte Gebiete zurückgebracht werden, damit die Nachfrage erfüllt werden kann.

Was sind die wichtigsten Erkenntnisse, die du und dein Team bislang gewonnen habt?

Wir konnten nachweisen, dass der operationelle Part um die Vehikel selber entscheidend ist. Bleiben wir zum Beispiel beim Milkrun. 50 Prozent der Emission kommen allein dadurch zustande. Das heißt, jeder Milkrun, der wegfällt, weil diese Fahrzeuge anderweitig geladen werden, verbessern die Ökobilanz erheblich. Je nachdem, wie dieser operationelle Aspekt gestaltet ist, bewegt sich die Ökobilanz von Sharing-Diensten zwischen der vom öffentlichen Nahverkehr bis hin zu der von privaten Autos im Worst Case. Das ist das Wichtige an unserer Forschung: Wir können zeigen, welchen großen Einfluss auch die kleinen Unterschiede haben.

Gibt es etwas, was du mit deiner Arbeit gerne erreichen würdest?

Ich würde ganz gerne den urbanen Verkehr so nachhaltig prägen, dass Autos größtenteils aus den Innenstädten verschwinden – aus Platz- und ästhetischen Gründen. Und natürlich ist die Dekarbonisierung des Verkehrs ein sehr großes Ziel – auch für mich persönlich.

Oskar Bauer

Oskar Bauer ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Hochschule Bochum. Am Labor für Nachhaltigkeit in der Technik forscht er zum Thema Mikromobilität.