Smart-City-Forschungslabor

Für nachhaltige Lösungen braucht es alle

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Digitalisierung
Smart-City-Forschungslabor
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Monique

Monique

Aktuelle Herausforderungen sind wesentlich komplexer als noch vor einigen Jahren. Denn viele Bereiche unseres Lebens lassen sich nicht mehr so einfach voneinander trennen. Zum Beispiel Energie und Mobilität. An dieser Schnittstelle arbeiten Leonie Wegener und Martin Neuwirth vom Institut für Elektromobilität der Hochschule Bochum. Im Team von Professor Dr. Haydar Mecit erforschen sie im Smart-City-Forschungslabor urbane Energie- und Mobilitätssysteme und stellen dabei die Frage, welche Anforderungen zukünftige Energie- und Mobilitätslösungen für nachhaltige Städte erfüllen müssen und wie diese Lösungen aussehen könnten.

Monique: Ihr befasst euch mit Mobilität und Energie in Smart Cities – wie seid ihr auf das Thema gekommen und was interessiert euch persönlich daran?

Leonie: Ich habe nach der Schule Wirtschaftsingenieurwesen studiert. Am meisten begeistert hat mich dabei das Technologie- und Innovationsmanagement. Mein Praxissemester habe ich bei einem Technologiekonzern, welcher u.a. auch die Automobilindustrie beliefert absolviert und so kam es, dass ich meine Abschlussarbeit im Bereich Elektromobilität geschrieben habe. Später habe ich als Werkstudentin bei einem Energieversorger gearbeitet und dort das Thema Elektromobilität aus einer anderen Perspektive betrachtet. Diese Schnittstelle zwischen Energie und Mobilität finde ich besonders spannend und hat mich schließlich in die angewandte Forschung an einer Fachhochschule geführt. Im Grunde interessiert mich das Thema aber auch vor meinem privaten Hintergrund. Ich komme nämlich ursprünglich vom Dorf, wo nur einmal in der Stunde ein Bus fuhr. Das habe ich als Nachteil erlebt und bin bei erster Gelegenheit in die Stadt gezogen. Eine Stadt bietet mir persönlich mehr Lebensqualität. Gleichzeitig existieren aber auch erhebliche Herausforderungen sowohl für die Städte selbst, wie auch für die Menschen, die in ihnen leben. Dafür müssen Lösungen gefunden werden und daran habe ich gerne teil.

Martin: Ich bin in das Thema auch irgendwie reingerutscht. Ich habe Wirtschaftspsychologie studiert und mich dabei schwerpunkmäßig mit der Interaktion von Mensch und Technik beschäftigt. Auch mich hat das Innovationsmanagement besonders begeistert. Unter anderem habe ich dann als Datenanalyst im Themenfeld Energiewende gearbeitet. Bei meiner Arbeit bin ich immer wieder den großen Herausforderungen wie Nachhaltigkeit, Klima- und Ressourcenschutz und insbesondere digitaler Vernetzung begegnet. Besonders spannend finde ich die Frage, welche Mehrwerte digitale Vernetzung schaffen kann. Tatsächlich ist vielen Leuten gar nicht bewusst, auf welchen Datenschätzen sie sitzen. Zu schauen, welche spannenden Erkenntnisse wir aus der Vernetzung verschiedener Daten gewinnen können, weckt den Detektiv in mir und so bin ich schließlich in diesem Bereich gelandet. Am Institut für Elektromobilität mit verschiedenen Disziplinen zusammenzuarbeiten und verschiedene Perspektiven oder Denkweisen nachzuvollziehen, finde ich sehr spannend.

Monique: Was versteht ihr bei eurer Arbeit unter einer Smart City?

Leonie: In unserem Projekt begreifen wir Smart City als die Digitalisierung und die Vernetzung städtischer Bereiche, um unterschiedliche Nachhaltigkeitsziele zu erreichen.

Monique: Welche aktuellen Herausforderungen stehen in eurem aktuellen Projekt Smart City Living Labs Ruhr, kurz SCiLivLabs, im Fokus?

Leonie: Die großen Herausforderungen beschrieben an Megatrends sind Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Viele Städte haben ähnliche Ideen und Pläne im Bereich Smart City. Allerdings sind Städte unglaublich divers, etwa aufgrund unterschiedlicher sozialer oder technischer Rahmenbedingungen. Gleichzeitig stehen alle vor der Herausforderung limitierter Ressourcen – ob finanzieller oder personeller Art. In unserem Projekt entwickeln wir eine Methodik, um trotzdem erfolgreich Smart-City-Projekte umzusetzen. Die Stadt Herne ist dabei unser Reallabor. Das veranschaulicht etwa das Klimaviertel. Das ist ein kleines Quartier aus sieben intelligenten Häusern mit Photovoltaik-Anlagen, eigenen stationären Speichern und geplanten Lademöglichkeiten für die Anwohner. Wir gucken uns unter realen Rahmenbedingungen die Energieflüsse im Quartier an.

Martin: Konkret beschäftigen wir uns mit der Konzeption, der Erprobung und der Bewertung von verschiedenen Anwendungsfällen, sogenannten Use Cases, im Bereich Smart Mobility, Energy und Environment. Außerdem steht die Einrichtung eines Smart-City-Forschungslabors im Fokus. Dort kommen verschiedene Akteurinnen und Akteure aus der Stadt zusammen, um Smart-City-Lösungen zu diskutieren. Das sind etwa Bürgerinnen und Bürger, Wirtschaftsunternehmen, städtische Versorgungsbetriebe und die Wirtschaftsförderung oder die Verkehrsverbünde. Das Ziel ist es, eine Ebene zu finden, auf der diese verschiedenen Stakeholder miteinander kommunizieren können, um aus mehreren Blickwinkeln Lösungen für die moderne vernetzte Stadt der Zukunft zu entwickeln.

Leonie: Es gibt bereits viele Möglichkeiten, Ansätze und jede Menge Ideen für die smarte Stadt. Ich glaube, diese Bandbreite ist eine unserer größten Herausforderungen. Denn jetzt kommt es darauf an herauszustellen, was sich wirklich eignet und sinnvoll kombiniert werden kann, um daraus schließlich nachhaltige Geschäftsmodelle zu entwickeln, die das Leben der Menschen erleichtern. Darauf liegt unser Fokus.

Monique: Was ist ein typischer Anwendungsfall, den ihr erforscht?

Martin: Ein einfaches Beispiel ist Smart Parking. In vielen Städten gibt es noch nicht genug private Ladesäulen. Das heißt, viele Menschen mit einem E-Auto sind auf die öffentliche Ladeinfrastruktur angewiesen. Doch viele Parkplätze mit Ladesäule werden von Verbrenner-Autos belegt. Unsere Idee für ein Geschäftsmodell sieht so aus: Parkplätze mit einer Ladesäule werden von einem Poller blockiert. Der Poller ist allerdings digitalisiert, so dass der Parkplatz per App gegen eine Gebühr reserviert und entsperrt werden kann. Das heißt, als E-Autobesitzer spare ich mir nicht nur die Parkplatzsuche, sondern kann auch gleichzeitig mein Fahrzeug aufladen. Wir nehmen an, dass viele Menschen bereit sind, für diesen Service etwas mehr zu bezahlen. Hinzu kommt, dass ein Großteil des Innenstadtverkehrs durch die Parkplatzsuche entsteht. Wenn wir nun Parkplätze mit Sensoren ausstatten und mit den Navigationsdiensten verknüpfen, können wir Autofahrerinnen und -fahrer ohne Umwege zum nächsten freien Parkplatz navigieren und damit voraussichtlich den Innenstadtverkehr sowie die Emissionen erheblich reduzieren. So können Städte mithilfe von Sensorik Mehrwerte schaffen und gleichzeitig Business Cases kreieren.

Monique: Wie geht ihr bei der Erstellung neuer Use Cases vor?

Leonie: Wir gehen nach einer eigenen One-Two-Three-Methode vor, die Smart-City-Projekte strukturiert auf drei Ebenen umsetzt. Auf der ersten Eben befindet sich die reale Stadt ausgestattet mit Sensorik wie Wetterstationen oder Parksensoren, um Daten zu generieren. Auf der zweiten Ebene werden diese Daten auf einer IT-Plattform gebündelt, so dass wir sie in allen möglichen Kombinationen auswerten können, um neue Erkenntnisse daraus zu gewinnen oder bestehendes Wissen mit Daten zu belegen. Auf der dritten Ebene erstellen wir die Use Cases. Dies geschieht in unserem Forschungslabor zusammen mit allen Projektbeteiligten, also den Hochschulen, den Stadtwerken, der Stadt selbst und weiteren städtischen Betrieben. Zur leichteren Kooperation haben wir die Daten visualisiert. Zum einen mithilfe von 3D-Druckmodellen, in die wir über Augmented-Reality-Anwendungen Informationen einblenden können. Zum anderen setzen wir Flug- und Fahrsimulatoren sowie VR-Brillen ein, um das Quartier gemeinsam mit allen Stakeholdern virtuell zu begehen. So schaffen wir eine gemeinsame Verständnisebene und Entscheidungsgrundlage für die Umsetzung oder Priorisierung neuer Projekte.

Martin: Wir betreiben Bürger-Wissenschaften, so genannte Citizen Science. Das heißt, wir binden die Bürgerinnen und Bürger konkret in unsere Forschung ein. So konnten wir ein engmaschiges Netz aus knapp 30 Wetterstation in der Stadt aufbauen, das uns Informationen liefert wie Sonneneinstrahlung, Temperatur oder Regenmengen. Diese Wetterdaten können wir über alle anderen städtischen Daten wie etwa Mobilitätsdaten legen: Regnet es zum Beispiel, verhalten sich die Leute womöglich anders und der Verkehr sollte besser umgeleitet werden. So können wir mithilfe der Modelle nicht nur den Ist-Zustand analysieren, sondern können auch perspektivische Szenarien simulieren.

Leonie: Entscheidend dabei ist, dass die Stakeholder in unserem Forschungslabor ihr eigenes Wissen mitbringen und anhand der Modelle mit den anderen Beteiligten teilen können. Nicht nur die Technologie ist im Fokus, sondern vor allem der Austausch, den wir durch verschiedene Kommunikations- und Darstellungstechnologien fördern.

Monique: Welche Erkenntnisse habt ihr bislang gewonnen?

Leonie: Auf der Ebene des Projekts ist es uns gelungen, die Daten aus unterschiedlichen Quellen an die Open-Source-Plattform Fiware anzubinden. Der Open Source Ansatz ist unserer Meinung nach ein wichtiger Aspekt für die Zukunft. So bleiben nicht alle auf ihren Daten sitzen, sondern machen sie datenschutzkonform verschiedenen Parteien zugänglich, um Mehrwerte daraus zu generieren. In den nächsten Wochen und Monaten konzentrieren wir uns nun auf die Verwertung der Daten aus der Plattform. Gerade im Zusammenhang der Citizen Science ist mir klar geworden, wie wichtig dabei die Kommunikation ist. Damit neue Lösungen schließlich auch angenommen werden, ist es wichtig, nach dem Prinzip Bottom-up alle Beteiligten einzubeziehen.

Martin: Wichtig für mich war außerdem die Erkenntnis, dass vielen Menschen überhaupt nicht bewusst ist, was sie alles aus ihren Daten machen könnten, wenn sie sie zusammenführen würden. Gleichzeitig ist mir klar geworden, wie wichtig es ist, darüber aufzuklären, wie und welche Daten erhoben werden und genutzt werden, um oftmals unbegründeten Ängsten hinsichtlich des Datenschutzes zu entkräften.

Monique: Was bedeutet für euch Nachhaltigkeit?

Leonie: Es geht nicht nur darum Dinge oder ganze Städte smart zu machen, um Geld zu verdienen, sondern das große Ziel ist die Schonung von Ressourcen, Klimaschutz und insgesamt eine nachhaltige Entwicklung von Städten. Im Prinzip fragen wir grundlegend „Was macht eine Stadt lebenswerter?“ Dazu können auch Aspekte gehören wie eine schnellere Erreichbarkeit von Zielen oder eine vereinfachte Parkplatzsuche. All diese Kriterien betrachten wir im Verbund.#

Martin: Bezogen auf die Geschäftsmodelle, die wir entwickeln oder untersuchen bedeutet das, dass für uns die Wertschöpfung ganz zentral ist. Die kann auf verschiedenen Ebenen entstehen – zum Beispiel im Bereich Ressourcenschutz, aber auch in Form einer Steigerung der Lebensqualität. Gleichzeitig müssen diese Geschäftsmodelle aber natürlich wirtschaftlich rentabel sein, damit sie später umgesetzt werden.

Monique: Welches Ziel verfolgt ihr persönlich mit eurer Arbeit?

Martin: Ich wünsche mir, dass unsere Use Cases nicht nur angewandte Forschung bleiben, sondern dass Städte unsere Konzepte in größerem Umfang tatsächlich umsetzen und wir damit einen Beitrag dazu leisten, Ressource zu schonen und die Lebensqualität in Städten dauerhaft zu verbessern.

Leonie: Für mich ist Sinnhaftigkeit sehr wichtig. Nach dem Studium wollte ich nicht einfach nur arbeiten, um Geld zu verdienen, sondern einen Beitrag dazu leisten, die Welt in einem bestimmten Bereich ein wenig besser zu machen. Für mich persönlich ist es ein wichtiger Aspekt, an der Entwicklung unserer Zukunft teilzuhaben und mit gutem Gewissen sagen zu können, ich leiste den Beitrag, den ich auf meine Art leisten kann.

Leonie Wegener

Leonie Wegener ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Elektromobilität der Hochschule Bochum. Leonie erforscht Energie- und Mobilitätssysteme in einer Smart City. Ihr Schwerpunkt liegt auf der Entwicklung von nachhaltigen Geschäftsmodellen, die den Menschen einer Stadt einen Mehrwert bieten.

Martin Neuwirth

Martin Neuwirth ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Elektromobilität der Hochschule Bochum. Martin forscht ebenfalls im Bereich der Energie- und Mobilitätssysteme. Gemeinsam mit Leonie entwickelt und erprobt er Smart City Use Cases. Sein Schwerpunkt liegt auf der Datenanalyse und Technologiebewertung hinsichtlich der Aspekte Akzeptanz und Vertrauenswürdigkeit.

Institut für Elektromobilität

Die Zukunft der Mobilität ist elektrisch. Bis 2030 will die Bundesregierung mindestens 15 Millionen vollelektrische Pkw in Deutschland auf die Straße bringen. Doch mit der Zunahme der E-Mobilität  treten offene Fragen von der Reichweite der Fahrzeuge bis hin zum Energiesystem immer stärker in den Vordergrund und schnell wird klar: Elektromobilität geht längst über die Grenzen der Mobilität hinaus. Einerseits müssen für den weiteren Ausbau einzelne Komponenten wie etwa die Batterie weiter optimiert werden, andererseits wiederum bietet die Anbindung der Fahrzeuge an das Energiesystem neue Möglichkeiten für die Gestaltung von Smart Cities. An der Komponentenentwicklung sowie an vernetzten Mobilitäts- und Energielösungen forscht das Team des Instituts für Elektromobilität der Hochschule Bochum. 2009 ist hier die erste Professur für Elektromobilität deutschlandweit eingerichtet worden und seitdem entstehen am Campus in Bochum Versuchsfahrzeuge, Testsysteme und neue Komponenten. Zehn Jahre später werden die bisherigen Aktivitäten des Instituts mit einer Stiftungsprofessur für urbane Energie- und Mobilitätssysteme erweitert und Fragen rund um die nachhaltige Entwicklung von digital vernetzen Städten und Kommunen erforscht.