Neue Sensorik für die Kanalinspektion in Echtzeit

Ein schwimmendes Mini-Labor

Lesedauer: 10 Minuten

DigitalisierungSmart City
Neue Sensorik für die Kanalinspektion in Echtzeit
Abformung komplexer Strukturen wie Kanalstrukturen, Reservoirs oder Ventile mithilfe von 3D-Druck und Eingussverfahren, © Westfälische Hochschule
Thea

Thea

Systemtechnik im Miniaturformat ist ihr Spezialgebiet. Anika Nietert ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Westfälischen Hochschule und forscht im Bereich Mikrosystemtechnik. Dabei hat sie es mit ganz unterschiedlichen Anwendungsbereichen zu tun: In ihrer Masterarbeit entwickelt sie ein Messsystem für eine neue Diagnosetechnik für eine Stoffwechselerkrankung. Im ruhrvalley-Projekt iKann wiederum konstruiert sie ein Mini-Labor, nicht größer als ein Tischtennisball, das in Zukunft die Echtzeitüberwachung von Kanalsystemen möglich macht. Wie das genau funktioniert und wie das System Schutz vor den Auswirkungen von Naturereignisses wie Starkregen bietet, erläutert sie im Interview.

Wer bist du und was machst du?

Ich bin Anika, 24 Jahre alt und arbeite im Projekt iKann als wissenschaftliche Mitarbeiterin. Parallel schreibe ich gerade meine Masterarbeit im Bereich Mikrosystemtechnik an der Westfälischen Hochschule.

Warum hast du dich gerade für dieses Gebiet entschieden?

Schon in meiner Kindheit habe ich viel gewerkelt. Mit 15 hatte ich einen eigenen Lötkolben und habe mit meinem Vater zusammen kleinere Projekte umgesetzt. Während meiner Schulzeit waren Mathe und Physik meine absoluten Traumfächer. Mein Vater ist Ingenieur im Maschinenbau und mein Opa war Professor für Medizintechnik. Ich fand immer spannend, was sie erzählt haben und wusste sehr früh schon, dass ich später etwas Technisches machen will. Für Medizintechnik habe ich mich entschieden, weil ich die Kombination aus Mensch und Technik sehr interessant finde, gerade um damit Menschen weiterzuhelfen.

Worum geht es in deiner Masterarbeit?

Ich arbeite an einer neuen Diagnosetechnik für die Krankheit Mukoviszidose. Mein Onkel forscht an der Universität Göttingen an einer Methode, die es ermöglicht vorherzusagen, wie stark die Krankheit bei den einzelnen Patientinnen und Patienten bereits fortgeschritten ist. Das Verfahren misst mithilfe einer Apparatur die Schweißproduktion des Körpers über einen gewissen Zeitraum hinweg und kann aufgrund der Ergebnisse genau sagen, wie stark die Krankheit bereits individuell entwickelt ist. Im Moment gibt es für dieses System einen ersten Prototyp. In meiner Masterarbeit will ich dieses Messystem weiterentwickeln und in ein Wearable Design bringen, das am Arm getragen werden kann. Das wird nicht alles im Rahmen einer Masterarbeit machbar sein, daher möchte ich anschließend zu dem Thema promovieren.

Lass uns mal von der Medizintechnik in einen ganz anderen Bereich der Mikrosystemtechnik gehen. Im ruhrvalley arbeitest du im Projekt iKann an der Entwicklung eines Systems zur Inspektion von Abwasser-Kanalisationsnetzen. Worum geht es dabei und was macht euren Ansatz innovativ?

Es gibt in der Kanalisation bisher kein System, das unterirdisch Daten erfasst und in Echtzeit weitergibt. Aktuell werden zwar schon Daten aufgenommen, aber diese müssen erst in der Kanalisation händisch von einer Person ausgelesen werden und ausgewertet werden. Währenddessen kann sich die Situation allerdings verändern – etwa durch Überflutungen, die von Starkregenereignissen hervorgerufen werden. Das Innovative an unserem System besteht darin, dass wir eine neue Infrastruktur für die unterirdische Datenerfassung aufbauen, die Daten in Echtzeit aufnehmen, weitergeben und auswerten kann. Das heißt, wir wissen immer, wo es gerade hakt oder Probleme gibt. Sobald wir das System weit genug entwickelt haben, werden wir es mit unserem Projektpartner, der Emschergenossenschaft, zusammen in natürlichen Gewässern testen.

Wie erfasst ihr Veränderungen oder Probleme?

Grundsätzlich geht es in dem Projekt darum, Strömungsprofile aufzunehmen, um festzustellen, wo eine Blockade sein könnte. Das machen wir mit so genannten Laboratory-on-Chip-Systemen (LOC). Das heißt, ganz viele Laborfunktionen werden in einem Chip zusammengeführt. Mithilfe verschiedener Sensoren werden bestimmte Messwerte aufgenommen. Um die Strömungsprofile zu erstellen, nehmen wir verschiedene Daten auf wie Beschleunigung, aus denen wir Geschwindigkeitsdaten und Ortsinformationen gewinnen. Wenn sich das Geschwindigkeitsprofil drastisch ändert oder das LOC an einer Stelle stehen bleibt, können wir daraus schließen, dass dort eventuell etwas in der Kanalisation ist, das es behindert und können gezielt einen Kanalarbeiter dorthin lenken.

Wie übermitteln die LOC die gesammelten Informationen?

Die Kommunikation ist unterirdisch nicht so einfach, unter anderem aufgrund der starken Reflexion. Deswegen brauchen wir viele einzelne LOC, die innerhalb eines Mesh-Systems miteinander kommunizieren. Unterirdisch liegt die Reichweite oft nur bei etwa 40 Metern, das heißt wir brauchen viele LOC, um eine höhere Reichweite aufzubauen. Jedes LOC verteilt seine Informationen an die umliegenden LOC, wie eine Art Lawineneffekt. So reicht es aus, wenn nur eines von ihnen eine Verbindung zum Gateway hat, das irgendwo im Kanalsystem angebracht wird. Das Gateway und das LOC verbinden sich und tauschen Informationen aus. Das heißt, das LOC gibt die Daten, die es selbst erfasst und von den anderen LOC gesammelt hat, an das Gateway weiter, das die Informationen oberirdisch weiterleitet.

Dein Part ist zum einen die Entwicklung einer schwimm- und tauchfähigen Kapsel zur Einhausung von Sensorik und Elektronik. Welche Anforderung stellen die Umgebung und die Sensorik an die Einhausung?

Es geht darum, eine hermetische abgeriegelte und robuste Einhausung zu schaffen, die das LOC vor allem schützt, was in der Kanalisation herumschwimmt. Das gilt zum einen für Stöße, aber auch für chemische Substanzen, die sich im Abwasser befinden können und den Chip angreifen. Dazu haben wir für den Chip eine robuste Silikonumhausung entwickelt. Ich kümmere mich daneben vor allem darum, dass das LOC tauchfähig ist. In der Kanalisation gibt es Wehre, die ein LOC als Blockade wahrnimmt, weil es einfach dagegen schwimmen würde. Damit das LOC das Wehr nicht als Störung wahrnimmt, muss es darunter durch tauchen können. Darüber hinaus ist die Tauchfunktion dazu da, Informationen aus verschiedenen Strömungsschichten zu sammeln.

Im aktuellen Projekt bezieht ihr euch auf die Zustandserfassung von Abwasserkanälen. Für welche anderen Anwendungen könnte diese Technik ebenfalls von Nutzen sein?

Das fertige System kann eigentlich überall dort zum Einsatz kommen, wo Daten in einer flüssigen und rauen Umgebung gesammelt werden sollen. Später könnten die Chips um weitere Sensoren ergänzt werden und anderweitig eingesetzt werden, etwa um Krankheitserreger oder Schadstoffe im Abwasser nachzuweisen oder eine chemische Analyse des Wassers durchzuführen. Wenn zum Beispiel ein Kraftwerk ein Problem hat und plötzlich viele Schadstoffe ins Wasser gelangen, kann das System mithilfe der LOC dem Klärwerk frühzeitig Bescheid geben. So kann sich das Klärwerk entsprechend vorbereiten und das verunreinigte Wasser in ein Ausweichbecken umleiten. Außerdem könnte sich das System für eine Echtzeitanalyse von Flüssen, Badeseen oder Schwimmbädern eignen, um zu prüfen, ob noch genug Sauerstoff in einem Gewässer ist und das Gleichgewicht noch stimmt. Der Vorteil der Technologie ist, dass immer Live-Daten zur Verfügung stehen, sodass direkt eingegriffen werden kann. Gegebenenfalls sogar automatisiert, indem die Daten direkt in einer Station verarbeitet werden, die ab bestimmten Werten automatisiert fehlende Chemikalien wie Sauerstoff einleitet.

Was fasziniert dich besonders an deiner Arbeit?

Mich fasziniert besonders diese Mischung aus Laborarbeit und Konstruktion. Ich kann meine eigenen Ideen entwickeln, selber aufbauen und testen. Das macht mir besonders viel Spaß.

Womit verbringst du deine Zeit am liebsten, wenn du nicht im Labor forschst?

Auch in meiner Freizeit mache ich gerne handwerkliche Sachen. Ich restauriere zum Beispiel alte Möbel. Ich kaufe einen alten Schrank, schleife ihn komplett ab, bessere kaputte Stellen aus und modifiziere ihn so, wie ich ihn brauche, zum Beispiel montiere ich neue Füße darunter oder tausche die Griffe aus.

Anika Nietert

Anika Nietert ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Westfälischen Hochschule. Im Projekt iKann forscht sie an der Entwicklung einer neuen Sensorik zum Aufbau einer neuen Infrastruktur, die Daten unterirdisch in Echtzeit erfasst. In ihrer Masterarbeit im Bereich Mikrosystemtechnik konzentriert sie sich auf die Entwicklung eines  Messsystems für eine neue Diagnosetechnik der Stoffwechselerkrankung Mukoviszidose.