Elektromobilität global betrachten

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EnergieMobilität
Elektromobilität global betrachten
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Thea

Interview mit Tim Karcher, Vorstand der innolectric AG, über die richtige Kommunikation an der Ladesäule, bei der Weltumrundung und im Unternehmen.

Thea: Wer bist du und was machst du?

Tim: Ich bin Tim Karcher, Vorstand der innolectric AG und Kind des Ruhrgebiets. Ich bin in Bochum aufgewachsen und habe an der Hochschule Bochum Wirtschaftsingenieurwesen studiert. Während meines Studiums bin ich in das SolarCar-Projekt eingestiegen und seitdem habe ich eine Begeisterung für Elektromobilität. Wir haben damals mit dem SolarCar die Welt umrundet und dabei die Prozesse und Diskussionen rund um Elektromobilität und Mobilität insgesamt in anderen Ländern kennengelernt. Das hat meine Perspektive auf das Thema sehr verändert. Nach dem Studium bin ich nach München und Zürich gegangen und habe dort in der Automotive Industrie im Bereich Vorentwicklung gearbeitet. Das Thema Laden spielte auch dort schon eine Rolle. 2016 bin ich zurückgekommen und in eine Ausgründung aus der Firma Scienlab eingestiegen, aus der heute innolectric geworden ist. Wir wollen als Unternehmen Ladetechnologie und Leistungselektronik im kommerziellen Nutzfahrzeugbereich nach vorne bringen. Denn gerade in diesem Bereich ist die Laufleistung sehr hoch, so dass wir die Benefits dieser Technologie wirklich heben und enorme Emissionen einsparen können.

 

Thea: Wie hat die Weltumrundung mit dem SolarCar deine Perspektive verändert?

Tim: Bei unserer Fahrt um die Welt haben wir sowohl Regionen kennengelernt, in denen gerade ein großes Umdenken hinsichtlich Mobilität stattfand, als auch Regionen, für die das Thema Elektromobilität vollkommen neu war. Doch trotz dieser Unterschiede hat allen Menschen die Idee hinter unserem Solarauto sofort eingeleuchtet. Das war für mich die Quintessenz dieser Reise: Mit einem Auto, was definitiv nicht für die Serienproduktion gedacht war, durch alle möglichen Länder zu fahren und überall den gleichen Grundtenor zu spüren: Elektromobilität ist absolut sinnvoll! Nun ist ein Solarauto an sich nicht die effizienteste Lösung, aber das Grundprinzip der Kombination aus erneuerbaren Energien und Elektromobilität ist einfach ideal. Unser Mentor, Professor Friedbert Pautzke von der Hochschule Bochum, hat immer gesagt, zunächst müssen wir Energie effizienter nutzen und dann am besten noch erneuerbar erzeugen. Und Elektromobilität tut genau das. Sie ist deutlich effizienter in der Wandlung. Das ist das Steckenpferd der innolectric. Wir entwickeln Leistungselektronik, die besonders effizient ist.

Thea: Habt ihr diese Zustimmung zur Elektromobilität seitens der Verbraucher als Unternehmen gespürt?

Tim: Dieser Drive, den wir von den Menschen auf unserer Reise mitgenommen hatten, war für mich der Antrieb, eine Firma mit zu gründen. Auch wenn es zunächst schwer war, als Unternehmen direkt daran anzuknüpfen. Denn 2016, als wir mit innolectric gestartet sind, waren viele Unternehmen noch zögerlich und haben eher abwartend beobachtet, wie sich die politischen Vorgaben entwickeln. Erst jetzt, da wir großen politischen Druck haben, überschlägt sich plötzlich alles.

Thea: Was sind eure Kernkompetenzen?

Tim: Unsere Kernkompetenz ist der Ladevorgang als Kombination von Hard- und Software. Die Entwicklung unserer Produkte dafür machen wir zu 100 % bei uns inhouse. Wir unterstützen aber auch bei der Integration unserer Produkte in die Fahrzeuge. Dabei haben wir uns auf den Bereich kommerzieller Nutzfahrzeuge spezialisiert. Zu unseren Kunden gehören Anbieter sämtlicher Fahrzeugtypen: vom Sprinter bis zum kleineren LKW, Kommunalfahrzeuge, Stapler, Rollfeld-Fahrzeuge, Fahrzeuge aus den Bereichen Untertage und Marine wie Jachten oder kleinere Fähren. Außerdem bedienen wir den Bereich Baumaschinen. Das müssen nicht mal zwingend nur Fahrzeuge sein, sondern auch Maschinen wie Betonmischer werden von uns elektrifiziert.

Thea: Welches Problem löst ihr für eure Kunden?

Tim: Laden ist vor allem eine Sache der Kommunikation zwischen Fahrzeug und Ladesäule. Ein Problem, das einige unserer Kunden haben, habe ich selbst vor einiger Zeit noch erlebt. Ich bin mit meinem Elektroauto an eine Ladestation gefahren, habe meinen Wagen angeschlossen und immer wieder ist die Kommunikation zwischen meinem Auto und der Ladesäule abgebrochen. Generell betrachtet ist das Thema Interoperabilität bis heute nicht abschließend gelöst. Trotz Normung gibt es technische Unterschiede zwischen den Ladesäulen unterschiedlicher Hersteller, die dazu führen, dass die Infrastruktur nicht mit jedem Auto kompatibel ist. Damit eine Leistungselektronik an einer Ladestation laden kann, braucht sie Ladekommunikation. Wir liefern eine Komponente, die Leistungselektronik und Ladekommunikation vereint, inklusive der Ansteuerung der notwendigen Peripherie wie Stecker und Verriegelung. Wir übernehmen also das Thema Laden als Applikation und liefern nicht nur ein Stück Hardware. Das nennen wir One Device Solution. Unsere Lösung eignet sich sowohl für das herkömmliche AC-Laden an der Steckdose als auch für das Schnellladen, das so genannte DC-Laden, bei dem es sich um eine High-Level-Kommunikation mit anderen Anforderungen handelt.

Thea: Was sind aktuelle Herausforderungen?

Tim: Die bisher etablierten Strukturen passen nicht immer zur aktuellen Situation. Viele Kunden arbeiten noch mit einem klassischen Lastenheft. Doch häufig sind diese Lastenhefte gar nicht an die tatsächlichen Herausforderungen, vor die uns Elektromobilität stellt, angepasst. Das heißt, unsere erste Aufgabe besteht häufig darin, mit dem Kunden zusammen herauszufinden, was er eigentlich braucht und ihm zu vermitteln, wie wir dieses Problem am besten für ihn lösen können.

Thea: Was motiviert dich?

Tim: Es gibt momentan eigentlich keine Grenzen der Elektrifizierung im kommerziellen Bereich und zu sehen, was wir mit unterschiedlichen Applikationen alles erreichen können, motiviert mich immer wieder aufs Neue. Kein Fahrzeug ist identisch, jede Integration für unsere Kunden ist anders. Dadurch haben wir in den vergangenen zwei Jahren enorm viel dazu gelernt – bis heute.

Thea: Seit diesem Jahr arbeitet ihr mit Bel Fuse Inc. zusammen. Einem Anbieter von Komponenten für elektronische Schaltungen. Wie ist diese Zusammenarbeit zustande gekommen und wie wollt ihr euch gemeinsam weiterentwickeln?

Tim: Bel Fuse Inc. ist ein Investor der innolectric und zugleich einer unserer strategischen Partner. Zum einen wollen wir unseren Kunden Mehrwerte anbieten, für die wir allein jedoch nicht die Kapazitäten haben. Zum anderen möchten wir gerne mehr Kunden in den Kernmärkten Europa und Nordamerika unterstützen. Deshalb haben wir einen Partner gesucht, der uns mit seiner Expertise gut ergänzt. Mit Bel Fuse haben wir ein Unternehmen gefunden, das ähnliche Interessen hat und unsere technische Expertise gerade in den Bereichen Produktion und Vertrieb ergänzt, so dass wir Synergien heben können, die uns gemeinsam nach vorne bringen. Besonders wichtig war mir dabei, dass wir als innolectric weiterhin eigenständig bleiben. Denn gerade unsere Agilität macht uns als Unternehmen aus.

Thea: Welche Themen beschäftigen dich als Unternehmer besonders?

Tim: Das sind vor allem die Themen, die den Markt momentan grundsätzlich bestimmen – Stichwort Fachkräfte. Nicht nur wir suchen Entwickler für Hardware, Software und Embedded Systems. Es werden gar nicht so viele Leute in diesen Bereichen ausgebildet, wie aktuell gebraucht werden. Wir haben mittlerweile Strategien entwickelt, um Leute möglichst früh für innolectric zu begeistern und sie aufzubauen. Wir bieten etwa ein duales Studium mit Abschlussarbeit bei uns im Unternehmen an und wir haben immer wieder Werkstudenten, die Abschlussarbeiten bei uns schreiben. Allen, die sich gut anstellen und motiviert sind, machen wir ein Übernahmeangebot. Gerade versuchen wir, beim Thema Ausbildungsberufe stärker anzusetzen und knüpfen Kontakte zu Berufsschulen.

Thea: Wie gewinnt ihr Leute für euer Unternehmen?

Tim: Wir haben als Unternehmen ein Credo: „Arbeitszeit ist Lebenszeit.“ Die Leute sollen etwas tun, was ihnen Spaß macht und was sie motiviert. Das ist sicher nicht immer zu leisten, aber wenn es grundsätzlich gelingt, ist ein hohes Gut. Denn Spaß an der Arbeit ist ein langfristiger Motivationsfaktor.

Thea: Wie schafft ihr eine solche Atmosphäre im Unternehmen?

Tim: Das hat etwas mit der Unternehmenskultur zu tun. Transparenz ist hier ganz entscheidend. Wir nehmen uns einmal im Monat die Zeit, das ganze Team zu versammeln und über den aktuellen Stand im Unternehmen zu informieren. Es gibt auch eine offene Diskussionsrunde für eigene Themen – seien sie noch so groß oder klein. Im letzten Jahr haben wir die Unternehmenssprache auf Englisch umgestellt. Durch den Sprachenswitch haben wir uns sofort geöffnet und tolle neue Kolleginnen und Kollegen gefunden. Wir sind mittlerweile ein internationales Team mit Mitarbeitenden aus Indien, Kolumbien oder Südkorea, die wir dabei unterstützt haben, hier anzukommen, eine Wohnung zu finden und die Behördengänge zu bewältigen.

Thea: Ihr seid mit dem Label innovativ durch Forschung ausgezeichnet. Welche Themen aus Forschung und Entwicklung interessieren euch besonders?

Tim: Uns interessiert besonders die Frage, wie ein Technologiekonzept aussehen müsste, das wie ein Baukasten genutzt werden kann, um mit möglichst wenig Aufwand möglichst viele unterschiedliche Lösungen anbieten zu können. Es gibt zwei Strömungen im Markt: Entweder alle Komponenten werden einzeln miteinander verkabelt oder man versucht, Komponenten zusammenzufassen, um Stecker und Kabel zu sparen. Im Bereich der Nutzfahrzeuge ist das Zusammenfassen allerdings nicht so einfach, da wir es hier mit vielen verschiedenen Leistungsklassen und Spezifikationen zu tun haben. Für eine Forschungsfrage ist das allerdings zu groß, da bewegen wir uns mehr auf Bauteil-Ebene und testen etwa neue Materialien hinsichtlich ihrer Vorteile gegenüber den herkömmlichen Lösungen.

Thea: Du warst selbst an einer Unternehmensgründung beteiligt. Was waren für dich die entscheidenden Erfolgsbedingungen und was hat die Unternehmensgründung erschwert?

Tim: Hier am Standort Bochum ist die Szene der Elektromobilität ein entscheidender Faktor gewesen, der uns sehr gepusht hat. Es waren immer Ansprechpartnerinnen und -partner da, die tief  in der Materie drin stecken und uns mit ihrem Enthusiasmus motiviert haben. An dieser Stelle möchte ich die Wirtschaftsentwicklung Bochum herausheben, die uns von Anfang an unterstützt hat. Zudem war das Hochschulnetzwerk mit den Schwerpunkten im Bereich Elektromobilität enorm wichtig – als Ansprechpartner und als Forschungspartner in Projekten. Auf der anderen Seite war es für uns schwer, Venture Capital Geber zu finden. Ich glaube, das könnte die Region enorm stärken, denn hier gibt es so viel Potenzial. Know-how, das ist der Rohstoff, den wir hier haben.

Thea: Womit verbringst du deine Zeit am liebsten, um Energie zu tanken?

Tim: Ich reise sehr gerne. Reisen heißt für mich, eine Region richtig zu erkunden. Also keine Pauschalreise, sondern sich beim Backpacking treiben lassen und dabei Land und Leute kennenlernen. Fotografie macht mir viel Spaß. Gerade Landschaftsfotografie, das lässt sich mit dem Reisen ganz gut verbinden. Daneben ist mir Sport sehr wichtig. Das Rennrad nutze ich auch gerne, um zur Arbeit zu pendeln. Rennrad aber in diesem Fall ohne E, sondern nur mit Muskelkraft.

Tim Karcher

Tim Karcher ist Vorstand der 2016 gegründeten innolectric AG. Das Unternehmen hat eine Lösung für das Laden elektrischer Nutzfahrzeuge entwickelt: Der On-Board-Charger vereint Leistungselektronik und Ladekommunikation in einer Komponente. Die innolectric AG hat ihren Sitz in Bochum und bezieht im Sommer ihren neuen Standort im Innovationsquartier Mark51°7.