400 Kilometer in 15 Minuten

Interview über Forschung und Entwicklung von Komponenten für E-Mobilität

Lesedauer: 10 Minuten

Mobilität
400 Kilometer in 15 Minuten
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Thea

Die Angst, lange Zeit an einer Ladesäule zu verbringen und später anzukommen, hemmt bis heute die Akzeptanz gegenüber Elektroautos. Und tatsächlich haben Verbrenner bislang noch immer eine höhere Reichweite. Gleichzeitig zeigen Studien, dass die typische Reichweite von Elektrofahrzeugen im Alltag völlig ausreicht. Erfolg kann Elektromobilität jedoch nur haben, wenn die Akzeptanz weiter wächst. Simeon Kremzow-Tennie ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Elektromobilität der Hochschule Bochum. Sein Schwerpunkt im Rahmen der Entwicklung von Komponenten liegt auf der Batterie. Er forscht daran, wie das Laden der Batterien schneller und dennoch nachhaltig gestaltet werden kann.

Thea: Das Institut für Elektromobilität der Hochschule Bochum befasst sich unter anderem mit den einzelnen Komponenten von Elektrofahrzeugen. Woran forscht ihr dabei konkret?

Simeon: Ein Schwerpunkt des Instituts liegt auf der Entwicklung, dem Aufbau und der Testung von einzelnen Komponenten bis hin zu ganzen Fahrzeugen. Das war die ursprüngliche Kernthematik, an der wir seit Gründung des Instituts 2009 arbeiten. Dabei decken wir die gesamte Thematik vom Antriebsstrang über die Hochvoltsicherheit und Fahrzeugelektronik, bis hin zur Automobilinformatik ab. Vor drei Jahren ist Professor Dr. Haydar Mecit hinzugekommen und hat das Forschungsspektrum um urbane Energie- und Mobilitätssysteme erweitert. Für uns gehören diese beiden Bereiche eng zusammen, denn Mobilität ist inzwischen mehr als nur das Auto. Die Fahrzeuge verändern sich und Konzepte wie Vehicle to Grid, also das Einspeisen von Energie aus dem Elektrofahrzeug zurück ins Netz, bilden eine Schnittstelle zwischen Fahrzeug und Energiesystem.

Thea: Welche Fahrzeugentwicklungen habt ihr bislang umgesetzt?

Simeon: Eigentlich haben wir schon fast alles gemacht. In der Anfangszeit wurden am Institut sogar eigene Motoren entwickelt. Gegenwärtig entwickeln wir aber vor allem das gesamte Hochvoltsystem für verschiedene Fahrzeugtypen wie PKWs und Motorräder. Ein weiteres Hauptaugenmerk ist die Batterieentwicklung, genauer der Aufbau von Batteriemodulen bis hin zu Batterie-Management-Systemen, und die Entwicklung von zusätzlichen Thermo-Managemet-Systemen.

Thea: Wer gehört zu eurem Team?

Simeon: Im Institut kommen verschiedene Disziplinen zusammen. Neben Elektrotechnikern, Ingenieuren, Maschinenbauern, Mechatronikern und Informatikern sind auch Marketingexperten, Designer, Psychologen oder Medienwissenschaftler Teil unseres Teams. Dabei sind wir eine gute Mischung aus studentischen Mitarbeitern, Hochschulabsolventen und Kolleginnen und Kollegen aus der Praxis. Wie das alles Hand in Hand geht, zeigt unser SolarCar-Projekt sehr anschaulich. Dabei konstruieren und designen Studierende ein eigenes Solar-Auto, mit dem sie später an der SolarCar-Challenge in Australien teilnehmen. Drum herum organisieren und planen sie mit Unterstützung von Friedbert Pautzke, Professor für Elektromobilität an unserem Institut, alles in Eigenregie: den Fahrzeugbau, den Firmensupport und die Reise.

Thea: Welche aktuellen Herausforderungen beschäftigen euch gerade?

Simeon: Unser Ziel ist immer der Schritt auf die nächste Technologieebene. Ein Beispiel ist die Bewertung und Weiterentwicklung von Batterien, denn die Batterie ist der kostenintensivste Faktor der Elektromobilität, da sie im Vergleich zu den übrigen Komponenten am schnellsten altert. Unser Ziel ist es, das Laden mit Batterien nachhaltiger und effizienter zu gestalten. Dazu führen wir Zustandsbewertungen über die gesamte Lebensdauer einer Batterie durch und analysieren genau, wie sie sich im Rahmen ihrer angestrebten Laufzeit verhält. So können wir eine Aussage darüber treffen, was eine Fahrzeugbatterie noch wert ist, etwa bevor ein Auto verkauft oder ins Leasing zurückgegeben wird.

Thea: Welche Erfolge konntet ihr in Bezug auf das Laden bereits erzielen?

Simeon: Wir haben vor kurzem eines unserer selbstentwickelten und selbstgebauten Autos, das BoMobil, mit einem neuen Batteriesystem wieder aufgelegt und damit ein langgehegtes Ziel der Elektromobilität erreicht. Mit unserem Projektteam haben wir es erstmalig geschafft, ein Fahrzeug innerhalb von 15 Minuten auf 400 Kilometer Reichweite zu laden. Im Vergleich zur aktuellen Serienproduktion konnten wir die Ladeleistung etwa halbieren. Bis zur Serienfertigung ist es zwar noch ein weiter Weg, aber wir konnten zeigen, dass das technisch tatsächlich geht. Dabei haben wir mit unseren Industrie- und Forschungspartnern alle Komponenten neu entwickelt wie die Batterieverbindungsbox oder das Batteriemanagementsystem.

Thea: Welches Thema beschäftigt dich konkret?

Simeon: Mich beschäftigt besonders die Frage, wie das Laden optimiert werden kann. Denn ein Stigma, mit dem Elektromobilität häufig noch belegt ist, ist die so genannte Reichweitenangst – also die Angst, dass Elektrofahrzeuge nicht so weit fahren wie Verbrenner-Fahrzeuge und lange geladen werden müssen. Ich möchte die Akzeptanz der Elektromobilität unter anderem dadurch steigern, das Laden zu beschleunigen und so eine höhere Vergleichbarkeit mit Verbrennern zu erreichen. Inzwischen konnten wir zwar nachweisen, dass schnelles Laden grundsätzlich funktioniert. Aber wir wissen ebenso gut, wie viele Herausforderungen bislang noch damit einhergehen. Ein großes Problem ist die starke Alterung der Batterie aufgrund der hohen Ströme, die beim schnellen Laden erforderlich sind. Wenn ich also einfach nur mehr Strom in meine Batterie reinbringe, um sie schneller zu laden, beschleunige ich damit ihre Alterung – im Extremfall ist sie dann für eine Anwendung im Fahrzeug nicht mehr nutzbar. Deshalb forsche ich daran, wie das Laden so effizient wie möglich gestaltet werden kann, um dieser Alterung entgegenzuwirken und die Batterie trotzdem schneller laden zu können.

Thea: Angewandte Forschung, was das heißt?

Simeon: Wir testen Komponenten und Fahrzeuge nicht nur im Labor unter kontrollierten Bedingungen, sondern im realen Umfeld, im so genannten Reallabor. Ein Beispiel sind unsere Test-Fahrzeuge wie der VW ID 4. Wir werten die Daten wie Batterie- und Leistungsdaten bei normaler Nutzung aus und können sie dann mit Labordaten vergleichen. Mithilfe von Simulationssystemen digitalisieren wir das gesamte Fahrzeug und bauen einen digitalen Zwilling auf, um weitere Anwendungsfälle, die man real nicht so einfach untersuchen kann, zu simulieren. So gehen reale Anwendung und Simulation miteinander Hand in Hand und ermöglichen das Hardware in The Loop Testing, also das Testen von realen Komponenten in einer simulierten Testumgebung. Daneben bauen wir in einem unserer Projekte eine offene Fahrzeug-Plattform auf, die möglichst variabel ist und alle Komponenten auf einer modularen Ebene miteinander verbindet. Die Plattform kann je nach Fahrzeugklasse erweitert oder verkleinert werden. So können wir alle Komponenten des Antriebsstrangs von der Batterie, über die Leistungselektronik bis hin zum Motor miteinander testen.

Thea: Eingangs hast du gesagt, Elektromobilität ist mehr als nur das Fahrzeug. Woran forscht ihr an der Schnittstelle zwischen Fahrzeug und Energiesystem?

Simeon: Ein konkretes Beispiel dafür ist ein Verrechnungssystem für Solarenergie an E-Ladestationen, das wir im vergangenen Jahr umsetzen konnten. Konkret ging es um ein System, in dem verschiedene variable Stromprofile realisiert werden können, so dass die Leistung, die ich etwa über meine Solaranlage in das Netz einspeise, mit der Energie, mit der ich mein Auto auflade, gegengerechnet werden kann. Wir haben dabei nicht nur Privathaushalte betrachtet, sondern auch den halböffentlichen und den industriellen Sektor, um ein Ladesystem für die gesamte Metropolregion zu entwickeln. Diese Verteilung zu realisieren war ein großer Entwicklungsschritt. Dabei haben wir beide Richtungen berücksichtig, also auch vom Fahrzeug zurück ins Netz: Vehicle-to-Grid-fähige Fahrzeuge können Energie aus der Batterie zurück ins Netz abgeben, wenn sie zu einem bestimmten Zeitpunkt gerade an anderer Stelle benötigt wird. Wenn ich vorher weiß, dass ich für acht Stunden mein Auto parke, könnte ich etwa für eine Stunde Energie aus meiner Batterie abgeben und für den Rest des Tages wird sie wieder aufgeladen.

Thea: Wie arbeitet ihr mit euren Unternehmenspartnern zusammen?

Simeon: Zum einen arbeiten wir mit unseren Partnern viel in Forschungsprojekten zusammen. Zum Teil machen wir aber auch Auftragsforschung für Unternehmen. In einem unserer größten Drittmittelprojekte haben wir zum Beispiel mit einem Unternehmen eine Sensorik für Stoßdämpfer entwickelt und dabei das Verhalten und die Lebensdauer der Stoßdämpfer analysiert und beurteilt. Auch beim Wissenstransfer arbeiten wir mit unseren Partnern zusammen, um unsere Ergebnisse und technologischen Neuerungen in der Öffentlichkeit bekannt zu machen.

Thea: Welches Ziel verfolgst du mit deiner Arbeit?

Simeon: Bezogen auf die Batterie möchte ich schnelles Laden und Langlebigkeit noch besser miteinander verbinden und so die Akzeptanz für Elektromobilität steigern. Denn wir forschen nicht am Thema Elektromobilität, um Autos schneller zu machen oder ihre Performance zu steigern. Wir sehen das Fahrzeug immer als Teil des gesamten Mobilitätssystem und mein Ziel ist es, dieses System nachhaltiger zu gestalten und so die Lebensqualität in Städten weiter zu verbessern.

Simeon Kremzow-Tennie

Simeon Kremzow-Tennie ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Elektromobilität der Hochschule Bochum. Simeons Forschungsgebiet ist die Batterietechnik. Dabei konzentriert er sich vor allem auf das schnelle Laden von Batterien und will dabei die Lebensdauer der Batterie möglichst lange erhalten.

Institut für Elektromobilität

Die Zukunft der Mobilität ist elektrisch. Bis 2030 will die Bundesregierung mindestens 15 Millionen vollelektrische Pkw in Deutschland auf die Straße bringen. Doch mit der Zunahme der E-Mobilität  treten offene Fragen von der Reichweite der Fahrzeuge bis hin zum Energiesystem immer stärker in den Vordergrund und schnell wird klar: Elektromobilität geht längst über die Grenzen der Mobilität hinaus. Einerseits müssen für den weiteren Ausbau einzelne Komponenten wie etwa die Batterie weiter optimiert werden, andererseits wiederum bietet die Anbindung der Fahrzeuge an das Energiesystem neue Möglichkeiten für die Gestaltung von Smart Cities. An der Komponentenentwicklung sowie an vernetzten Mobilitäts- und Energielösungen forscht das Team des Instituts für Elektromobilität der Hochschule Bochum. 2009 ist hier die erste Professur für Elektromobilität deutschlandweit eingerichtet worden und seitdem entstehen am Campus in Bochum Versuchsfahrzeuge, Testsysteme und neue Komponenten. Zehn Jahre später werden die bisherigen Aktivitäten des Instituts mit einer Stiftungsprofessur für urbane Energie- und Mobilitätssysteme erweitert und Fragen rund um die nachhaltige Entwicklung von digital vernetzen Städten und Kommunen erforscht.